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Referendariat: Zwischen Horrorstress und Nocebo-Effekt

Es ist kaum auszuhalten, es ist stark fordernd und kann vielleicht sogar zur psychischen Überlastung führen. Geschichten über die Intensität und das Stresslevel im Referendariat verbreiten sich im Studium spätestens während des Praxissemesters. Doch hat man den Stress vielleicht nur, weil man ihn erwartet?

15. Februar, 2020 / 15:32 Uhr
Corona in der Schule
Ertrinken im Stress oder lehrreiche und angenehme Zeit? Quelle: Pixabay (CC0)

Nun hat es also begonnen – das Referendariat. Viele beschreiben die vor mir stehenden Monate als unglaublich intensiv und fordernd. Auf den ersten Blick spricht einiges für diesen Standpunkt. Die ausstehenden Aufgaben seitens des Seminars liegen gerade im Prüfungszeitraum ab Herbst dicht beieinander, bei gleichzeitigem Lehrauftrag an der Schule. Bei einem solch eng getakteten Plan kann man ein erhöhtes Stresslevel schon erwarten.
Gewisse Erzählungen gehen aber noch weiter: Nach wenigen Wochen in der Schule sei man schon im durchgehenden Stress, da sich die Aufgaben häufen und sich die zu erbringenden Leistungen entweder direkt auf die Abschlussnote auswirken oder sogar eine Gehaltskürzung nach sich ziehen können. Es stehe insgesamt eine Workload bevor, die kaum zu bewältigen sei. Die Kritik an der eigenen Person und den entworfenen Leistungen findet, obwohl diese zufriedenstellend sind, kein Ende. Die 18 Monate seien daher der reine Horror und kurzum einfach eine unglaublich stressige Zeit.

Dem gegenüber steht eine vermeidlich andere Auslegung und Interpretation von Stress. Gemeint ist hiermit nicht der Spaß und die Freude, die ein Wirken am Seminar und an der Schule hervorrufen kann. Vielmehr geht es um die Frage nach einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Axel Krommer (@mediendidaktik_) stieß kürzlich mit einem scheinbaren Wikipedia-Eintrag zum sogenannten Referendariats-Nocebo-Effekt auf Twitter geschickt die Diskussion an, ob viel vom erlebten Stress nicht Einbildung sei.


Was meint dabei ein Nocebo-Effekt? Er funktioniert ähnlich wie der bekannte Placebo-Effekt. Der Unterschied ist nur, dass es nicht um scheinbare positive gesundheitliche Wirkungen wie bei homöopathischen Mitteln geht. Es handelt sich vielmehr um eine schlechte, negative Reaktion aufgrund eines äußeren Einflusses. Ein gutes Beispiel hierfür sind Testpersonen, deren Haut mit einem gewöhnlichen Laserpointer bestrahlt wird. Sie spüren meist nur dann Schmerzen, wenn man vorher darauf hinweist, dass der Laserpointer organisches Material angreifen würde. Michael Stevens fasst dies in Mind Field mit dem Begriff „Phantomschmerzen“ zusammen.


Die Analogie zum Referendariat spielt daher auf einen, in der eigenen Psyche selbst unnötig konstruierten Stress an. Dabei ist das allgemeine tatsächliche Stresslevel vergleichsweise niedrig. Blickt man also durch die Brille des Nocebo-Effekts auf die besagten ausstehenden Monate, besteht die Gefahr, unbewusst eben nach Aspekten Ausschau zu halten, welche diese These bestätigen. Man sucht stressige Phasen und Überlastung und bekommt schlicht, was man erwartet.

Meiner Ansicht nach ist allerdings wie in allen Ausbildungen als common sense zu erwarten, dass diese fordernd werden. Es ist also abzusehen, dass das Referendariat die eigene Person an gewisse Grenzen bringt. Per se ist dies aber auch förderlich und notwendig: Nur wenn Herausforderungen anstehen, können neue Dinge erlernt werden, nur bei Heraustreten aus der Komfort-Zone können neue neuronale Vernetzungen und ein Zugewinn an Wissen entstehen. Nach Anderson ist es essenziell, sich in die "Zone des Lernens" zu begeben und neue Hürden zu suchen. Wichtig ist jedoch, nicht zu ehrgeizig zu sein und einen zu großen Gipfel in Angriff zu nehmen. Übersteigt uns unsere Aufgabe, lernen wir bekanntlich nur wenig aus den eigenen Fehlern und es zeigt sich kein klarer zukünftiger Weg ab. Ich vermute, dass sich ein zu langes Aufhalten mit übermächtigen Aufgaben, gemeinsam mit einer zu großen Häufung dieser, zu unnötiger Belastung unter Lehrerinnen und Lehrern sowie Studienreferendar*innen führt.

Stress ist weiterhin ein generelles psychisches Phänomen. Lehrergesundheit steht dabei nicht ohne Grund immer mehr im Fokus der Ausbildung von Lehrkräften. Fundamental ist beim Umgang mit Stress, dass sich das Anspannungsniveau nicht konstant aufrecht hält und die eigenen Ressourcen und Reserven wieder aufgeladen werden. Frei nach den Worten meines Vorgesetzten:

„Es benötigt ein gutes Verhältnis von Anspannung und Entspannung."


Ist Stress im Referendariat nun ein Nocebo? Wie so oft ist ein Zusammenspiel nicht zu vermeiden und ein Einfluss auch nicht auszuschließen. Ein gedanklicher Fokus auf den Stress kann eben wie ein Erwarten einer stressigen Zeit eher dafür sorgen, dass eine unterbewusste Suche und ein mentales Abtasten nach stressigen Phasen stattfindet. Auch dieser Beitrag und die Beschäftigung mit dem Thema „Stress-Nocebo", mit der Intention diesen Effekt zu umschiffen, ist gewissermaßen paradox.

Ein Bewusstsein über den Nocebo-Effekt kann aber möglicherweise zur Reflexion anregen und damit aufkommenden Stress lindern. Eine weitere Lehre muss ferner sein, nicht den Stress zu suchen, sondern diesen schlichtweg zu erkennen und achtsam dagegen zu arbeiten. Generell also: Lernen mit den aufkommenden Belastungen umzugehen, seien diese selbstkonstruiert oder nicht.