Ein lauer Wind weht über meinen Balkon. Die Abendsonne scheint nur noch schwach auf meine Haut. Es ist nicht mehr so warm wie zuvor und ein lauer Abend kündigt sich an. Die Pflanzen im Garten beginnen langsam richtig Fahrt aufzunehmen. Erdbeeren wachsen, Tomaten werden immer größer, Bohnen müssen sich gegen Unkraut behaupten. Aber ich komme dieses Mal dazu, das Unkraut wirklich zu entfernen. Die Bohnen werden nicht wie letztes Jahr vom Efeu eingenommen. Denn ich sorge dafür, dass sie genug Platz haben und beim Wachsen unterstützt werden. Ich habe nun Zeit. Ich habe nun Luft.
Luft nach meinem Referendariat. Die letzte Prüfung ist einige Zeit her. Ich konnte Abstand nehmen. Ich konnte "runterfahren". Zwar geht der Lehreralltag täglich weiter, es wollen noch viele Arbeiten geschrieben werden und die Größe der anfallenden Aufgaben wächst mit der Zeit, die man zur Verfügung hat. Dennoch nehme ich mir nun Zeit für andere Dinge. Ich nehme mir Zeit, abends anderes zu tun als bis 24 Uhr Unterricht vorzubereiten. Ein Buch zu lesen. Im Garten auszugraßen. Ich nehme mir mehr Zeit, zum Sport zu gehen. Und das erstaunliche daran ist: Dadurch steigere ich meine Leistungsfähigkeit auf der Arbeit und kann mich noch besser um meine SchülerInnen kümmern und sie unterstützen. Ich habe auch das Gefühl, dass ich adaptiver unterrichte als vorher.
Nun, mit dieser verschnaufenden Perspektive möchte ich nun einmal zurückschauen auf die vergangenen 1,3 Jahre. Die vergangenen Prüfungen, die intensive Zeit. Keinesfalls möchte ich aber in irgendeinerweise mit etwas abrechnen. Das sollen gerne andere tun, ich sehe darin erstens keinen Bedarf und zweitens keine wirkliche konstruktive lösungsorientierung. Wie war das Ref jetzt also? Zu aller erst möchte ich sagen: Es war psychisch belastend. Es war herausfordernd. Es war viel Arbeit. Mich hat denke ich vor allem das Paradoxon of Choice oder Auswahlparadoxon umgetrieben. Damit meine ich, dass ich viele Varianten an der Hand hatte, meinen Unterricht inhaltlich und methodisch zu gestalten, ich mir unschlüssig war, welches nun der beste Schwerpunkt war, was wohl am besten funktionieren würde. Nach einigen Unterrichtsbesuchen hatte ich mich mit den schlaflosen Nächten vor folgenden Besuchsstunden abgefunden. Ich hatte mich abgefunden mit den Emotionen von Angst und Furcht (Anxiety im englischen beschreibt es wohl am besten), welche wohl im Kontext von Fight-or-Flight Situationen verstärkt auftrat. Doch heute ist das ein wenig anders. Ich entscheide mich schneller für eine der vielen guten Varianten. Ich führe diese durch und evaluiere, ob sie beibehalten wird oder ob ich sie nächstes Mal doch besser ersetzen werde. Nun gibt es nicht mehr derart viele Fight-or-Flight-Situationen. In der Hochzeit des Referendariats waren diese häufig. Sie waren anstrengend, sie waren fordernd. Sie sorgten dafür, dass man sich selbst immer wieder pushte, immer wieder aus der Komfortzone heraustrat (was definitiv eine positive Sache ist). Und sie sorgten aber auch meines Erarchtens dafür, dass beschriebene Furcht vor ungewissen zukünfitgen, möglicherweise negativen Ereignisse verstärkt wird. Was also einerseits gut ist, mich als Referendar persönlich weiter gebracht und kompetenter gemacht hat, war auch im Vorgang sehr unangenehm. Doch diese Art des Leidens muss man aushalten und tolerieren, um daran wachsen zu können (ich gebe zu, ein sehr altkluger Kommentar).
Warum ist das besonders im Referandariat so stark, wo doch die Universität das deutlich anspruchsvollere Pflaster dargestellt hat? Wohl wird es so sein, dass durch diese lange Zeit der intensiven, auch durch andere stark angeleitete Selbstreflexion und Selbstkritik an vielen Dingen, die psychische Belastung steigt. Der Fokus liegt duch die Selbstreflexion auf der Psyche. Auf der eigenen Kreativität und dem eigenen Stand im sozialen Vergleich zu anderen. Dadurch führt es sicherlich auch zu einer Art "Verkopfung" und "in den eigenen Gedanken hängen". Zu einem "Grübeln" ohne wirklich konstruktiv zu arbeiten. Dennoch möchte ich betonen, dass die Belohnung umso größer ist, wenn man die Situation erfolgreich gemeistert ist. Während der Situation läuft es meistens wie geschmiert und ohne große Phasen der kritischen Selbstreflexion. Man hat ja auch gar keine Zeit dafür uns muss performen. Im Nachhinein kommt meist die verdiente Erleichterung.
Im Referendariat lassen sich diese Erleichterungsmomente jedoch Zeit. Von Beginn an ist es eine lange Durststrecke, bis die ersten wirklich tragfähigen Entscheidungen getroffen sind. So führen viele Faktoren dazu, dass sich immer mehr Anspannung ansammelt. Dinge, die in der Schwebe sind und ein gutes Ende determinieren. Sei es die abgegebene und noch nicht bewertete Dokumentation, die Themenverteilungspläne, welche in der Schwebe hängen und man nicht weiß, ob die eigene Entscheidung für diese Aufteilung sich als erfolgreich darstellen wird. Sei es ebenso die Ungewissheit der Stelle, oder die Unklarheit, wie denn der Blick von bewertenden anderen auf einen Selbst wohl sein wird.
Es sollte aber gesagt sein: Am Ende lohnt es sich. Das ist zumindest mein Eindruck. Man hat "es" geschafft, die letzte Prüfung abgelegt. Diese Befreiung nach einer derart intensiven Zeit lässt eingangs genannte Eindrücke vielmehr genießen. Sie lässt einen vielmehr wertschätzen, welch große Anstrengung man nun hinter sich gebracht hat. Obwohl der Ausspruch "Hauptsache rum" komisch klingt und fälschlicherweise suggeriert, dass die Sache an sich keinerlei Wert besitzt, legt er doch eines sehr deutlich nahe: Die verdiente Entspannung und das bewusste Wahrnehmen des Schullebens nach einer intensiven, aber lehrreichen Zeit.